Kiezgeflüster – Silke Hillenbrand

BBA - Akademie der Immobilienwirtschaft e. V., Berlin

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Zum 150. Geburtstag der Gründung Friedenaus: „Zur Wohnungsfrage“

Warme Luft fächelt über die Terrasse des Roxy-Palastes und aus der Ferne sind Stimmen zu hören: „… über 50.000 Menschen“, „… empfindliche Wohnungsnot“, „Mietpreise verdreifacht…“, „Die Vororte müssen die Lungenflügel der Großstädte werden.“ Richtig! Das ist ja das geflügelte Wort der Gründerväter Friedenaus, David Born und Johann Anton Wilhelm von Carstenn!

Der heutzutage mit 16.968 Einwohner*innen pro km² am dichtesten besiedelte Ortsteil Berlins, entstand durch den am 09. Juli 1871 gegründeten „Landerwerb- und Bauverein auf Aktien“, der 550 Morgen Land des Ritterguts Deutsch-Wilmersdorf preisgünstig ankaufte. Dieses Rittergut hatte von Carstenn 1868 erworben. Nach ihm ist auch die städtebauliche „Carstenn Figur“ benannt, die wir u.a. in Friedenau finden. Er war es auch, der aus England die Idee der Villenkolonie nach Berlin mitbrachte. Diese sollte nach dem Willen der Gründerväter und nach dem Bebauungsplan Johannes Otzens das Gebiet zwischen der „Stammbahn“ (der ersten Eisenbahnstrecke Preußens) und der „Wannseebahn“ (heute S1) unter Einbeziehung der Straßenverbindungen zwischen dem Berliner Stadtschloss und Potsdam mit dem damals aufstrebenden „neuen Westen“ rund um den Kurfürstendamm erschließen.

In Folge des deutsch-französischen Krieges (1870-1871) waren über 50.000 Menschen nach Berlin zugezogen, was eine Wohnungsnot im alten Kerngebiet Berlins zur Folge hatte, die auch den Mittelstand empfindlich traf. Daher entstanden viele Baugesellschaften, die im weiteren Umkreis Ansiedlungsmöglichkeiten schufen. „Die Tätigkeit dieser Gesellschaften war indessen mehr auf Gewinn, als auf sachgemäße Lösung der brennenden Frage der Wohnungsnot gerichtet“ – so urteilte zumindest der Friedenauer Lokalanzeiger in seiner Ausgabe zum 50. Geburtstags Friedenaus 1924. In diesem Kontext stach die Anzeige Borns mit dem Titel „Zur Wohnungsfrage“ im Vosseschen Lokalanzeiger im Mai 1871 hervor, indem er explizit vermeldete: „Ein Großgrundbesitzer, der sich für die Sache interessiert, hat mir ein Areal… zum Zwecke der Parzellierung und Bebauung – aber nur für eine Baugesellschaft – zu einem sehr billigen Preis zur Verfügung gestellt… dagegen aber stellt er seinerseits die Anforderung, dass keine Fabriken, keine hochstöckigen Wohnhäuser und Proletarierwohnungen dort gebaut werden dürfen.“ Zielgruppe waren „Beamte, Pensionäre, Lehrer, Künstler, Literaten“ und „alle(n)…, deren Einkommen nicht so rasch und in gleichem Maße als die Wohnungsmiete steigt“.

In dem sich rasch gründenden Verein trat u.a. auch Baumeister Hähnel mit seiner Frau Auguste ein. Sie schlug vor, das Gebiet „Friedenau“ zu nennen, um an das Ende des deutsch-französischen Krieges im Jahr 1871 zu erinnern. Die wenigen noch erhaltenen Landhäuser und Villen aus der Gründerzeit finden sich in der Nied-, Albe- und Handjerystraße. Es sind meist bescheidene, eingeschossige Häuser mit Keller und ausgebauten Dachgeschossen sowie kleinen Gärten.

Bereits 1887 wurden aufgrund des erneuten Wohnraummangels und der neu erlassenen Bauordnung der preußischen Regierung viele Villen abgerissen und fünfstöckige Mietshäuser errichtet. Die weitere Bauordnung von 1892 wusste der Bauunternehmer Georg Haberland als „weitsichtiger Terrainentwickler“ gut zu nutzen, um das Gebiet um den Südwestkorso und das Wagnerviertel zu planen. Der Friedenauer Sportpark und die beliebte Radrennbahn mussten in den 1900 Jahren dafür weichen.

Von den zahlreichen Vereinen der Gründerjahre existiert bis heute der „Friedenauer TSC 1886 e. V.“ und auch viele weitere Unternehmen haben sich aus der Zeit erhalten: Neben der Gießerei Noack, von der wir im Zusammenhang mit Renée Sintenis bereits hörten, auch der inzwischen in fünfter Generation geführte Juwelier Lorenz. In seinen privat betriebenen Museumsräumen befindet sich die „Berliner Friedensuhr“, die mit der Inschrift „Zeit sprengt alle Mauern“ pünktlich am 09. November 1989, zum 115. Jahrestag der offiziellen Gründung der Landgemeinde, anfing zu ticken. Im gleichen Moment erreichte die Welt die Nachricht vom Fall der Mauer.

Der Bürgermeister Berndt aus Friedenau formulierte am 09. November 1924 im Lokalanzeiger zum 50. Jahrestag: „Die ganze Entwicklung Friedenaus ist ein einziger großer Beweis für diese tatkräftige Zielklarheit (Anm.: Der Gründer Friedenaus), und nie müde werdenden Willensstärke, die das Wort wahrzumachen strebte, dass man sich selber seinen Wert schafft.“

Ob wir uns von dieser Tatkraft, Zielklarheit und diesen Gestaltungsmut auch heute noch anstecken lassen können? Horchen Sie doch das nächste Mal, wenn Sie bei uns vorbeikommen ….

Ihre
Silke Hillenbrand