Kiezgeflüster – Silke Hillenbrand
Raum für Kreativität & Entfaltung – Roxy gestern & heute
Schicht um Schicht habe man die Farbe im Treppenhaus abgetragen, um die Originalfarbgestaltung herauszufinden – so berichtet Klaus Schlosser den interessierten Gruppen, die sich im September 2021 auf der Dachterrasse des Roxy-Palastes unter blauem Himmel und weißen Schirmen eingefunden haben. Und weiter geht es durch die von ihm mit viel Liebe zum Detail neu gestalteten Stockwerke und Räumlichkeiten. Unsere Füße betreten den Boden, der vor rund 100 Jahren von Martin Punitzer für den Roxy-Palast gelegt wurde. Unsere Sinne erforschen die Raumwirkungen und gemeinsam nähern wir uns Schritt um Schritt der Baugeschichte und erfassen die Meisterschaft Punitzers, aber auch die Klaus Schlossers, ohne die es das aktuelle Nutzungskonzept des Roxy nicht gäbe.
Großstädtisch aufschließen sollte der Roxy-Palast, als Großkino und Geschäftshaus 1927-1929 erdacht und fertig gestellt, das vorstädtische Friedenau, über dessen Entstehung wir ja schon hörten. Ein Gebäude, das 24 Stunden, bei Tag und Nacht durch Licht und Form sowie durch attraktive Angebote in die Umgebung wirkt, Menschen anzieht und zusammenbringt. Funktional, klar, bedarfsgerecht, ressourcenschonend, wegesparend, qualitativ hochwertig, ästhetisch und behaglich in der Farbenstimmung – das sind nur einige der Merkmale Punitzers architektonischer Handschrift.
1929 attestierte man Punitzer in der Deutschen Allgemeinen Zeitung vom 21. März einen „Kopf voller Ideen und Projekte(n) … Er fiel zum ersten Male auf, als er das Haus Bismarckstraße 5 (…) baute. Ein verteufelt schweres Exempel, auf das schiefwinklige Grundstück ein modernes Geschäftshaus hinzusetzen, weshalb sich auch jahrzehntelang niemand an die Projektbehandlung herantraute“. Erfindungsreich und proaktiv ging er auf Auftragssuche, entwarf Ideen für Baulücken und stellte sie den Eigentümer*innen der Grundstücke vor. Den Wert des Baugrundes wusste er zu schätzen und suchte ihn optimal für die Menschen, die darauf leben, arbeiten und sich entfalten sollten, zu nutzen. Zu seinen nicht realisierten Projekten gehören ein Autohotel für das dreieckige Grundstück Haupt-, Rubens- und Trägerstraße ganz in der Nähe des heutigen Roxy ebenso wie seine „Einzimmer-Wohnhäuser H-Kleinst Type“. Dieses „Wohnmodulsystem“ hatte laut Punitzer das „Ziel, die Mietpreise möglichst gering zu halten“ und wäre variabel und kostengünstig sowohl in kompakten innerstädtischen Lagen wie auch in der Fläche realisierbar. Realisiert wurde unter anderem die Werkzeugmaschinenfabrik Herbert Lindner in Berlin-Wittenau, die laut Schäche/Jakob/Pessier in ihrer Monographie zu Martin Punitzer in außergewöhnlichem Maß Architektur und Natur verbindet: „Sie stellt für den Industriebau der Zeit insofern eine ausnehmende Besonderheit dar, als dass Freiraum, Gebäude und deren Gestaltung in eine gleichberechtigte Übereinstimmung gebracht wurden, was in dieser Kongruenz nicht noch einmal realisiert werden sollte.“ Eine Fabrikgestaltung mit der sich die Nationalsozialisten 1935 in ihrer Novemberausgabe vom „Angriff“ brüsteten und dessen Urheber sie verschwiegen, mit faktischem Berufsverbot belegten, inhaftierten und mit seiner Familie zur Emigration zwangen. Seine individuelle, pragmatische und kreative Handschrift bereichert die Vielfalt der Berliner Moderne der 20iger Jahre und schenkt uns heute – auch dank der sensiblen Neugestaltung Klaus Schlossers – Raum, um zu leben, zu arbeiten, nachzudenken, zu sinnen, zu träumen, uns auszutauschen, zu gestalten, zu lernen, zu erfahren und uns zu entfalten.
Was Punitzer wohl zur heutigen Nutzung gesagt hätte?
Horchen Sie doch das nächste Mal, wenn Sie bei uns vorbeikommen ….
Ihre
Silke Hillenbrand
Youtube Video TU Architekturmuseum “SEHSTÜCKE #13: Roxy-Palast in Berlin“: https://www.youtube.com/watch?v=9QscTDkvTH4
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