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Krisen müssen draußen bleiben!

BBA - Akademie der Immobilienwirtschaft e. V., Berlin

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Krisen müssen draußen bleiben!

Erfahrungsbericht von Astrid Kösters, Bildungsreferentin bei der BBA: Hätte mir jemand Anfang des Jahres gesagt, was in den kommenden Wochen auf uns zukommen wird, hätte ich ihn für verrückt erklärt.

Kann das sein?
Das Jahr begann wie fast jedes Jahr, man hat eine Liste von guten Vorsätzen, die man niemals umsetzen wird und schaut gespannt auf die Projekte, die einen erwarten. Was sollte ein Virus schon groß anrichten? Erst recht, wenn er noch so weit weg ist? Und überhaupt: Medizinisch kriegen wir sowas doch fix in den Griff. Bald darauf kamen die ersten Meldungen aus Italien. Ich erinnere mich an die schrecklichen Bilder, die um die Welt gingen. Das erste Mal sah ich mich auf den BBU-Tagen in Bad Saarow mit „der neuen Situation“ wirklich konfrontiert. Es war die letzte Veranstaltung, die ich bis heute besuchen durfte. Alles war bestückt mit Desinfektionsmitteln, welche den unverwechselbaren Duft von Ethanol versprühten. Man hatte gut vorgesorgt. Nahezu überfordert hat mich das fehlende Begrüßungsritual. Da steht man sich nun gegenüber und weiß nicht, wie man sich verhalten soll – was für ein Icebreaker so ein Handschlag doch ist! Wenn man Glück hatte, konnte man die Situation mit einem unbeholfenen Ellbogenkniff und einem „darüber Witzeln“ auflockern. Völlig betreten war ich jedes Mal, wenn ich meinem Gegenüber reflexartig die Hand entgegenstreckte, um sie dann doch gleich wieder zurückzuziehen. Wie überspielt man so etwas? Am besten gar nicht.

Ein neuer (Arbeits-) Alltag: Wir bilden jetzt digital
Mittlerweile sind solche Verhaltensänderungen in meinen Alltag übergegangen. Vieles, was ich noch vor ein paar Monaten als normal ansah, ist neuen Ritualen gewichen. Auch meine Arbeit für die BBA hat sich verändert. Angefangen beim Arbeitsweg, der nun, bis auf ein paar wenige Bürotage, wegfällt, über die ungewohnte Arbeitsorganisation sowie das Arbeiten im „Homeoffice“, das Konzipieren von Online-Lernformaten bis hin zum fehlenden Austausch mit meinen Kolleg*innen, unseren Mitgliedern und Partnern. Das Konzipieren von Online-Lernformaten und deren Implementierung in unsere bestehenden Geschäftsprozesse stellte dabei zunächst eine besondere Herausforderung dar. Rückblickend bin ich überwältigt von der Geschwindigkeit, mit welcher wir die digitalen Weiterbildungen auf den Markt gebracht haben und wie gut sie ankommen. Dabei war die Umsetzung ganz anders gedacht, aber für perfekt durchstrukturierte Planungen war jetzt keine Zeit. Zwei Arbeitstage vor der Kontaktsperre wurden wir zu fünft in einen Seminarraum gebeten: „Das ist die aktuelle Situation, so wird es wohl die kommenden Wochen sein. Ihr bringt die richtigen Kompetenzen in der richtigen Kombination mit, deshalb seid ihr jetzt das Web-Team im Weiterbildungsbereich.“.

Alles anders, alles neu, alles richtig
Ich kann mich nicht mehr an den genauen Wortlaut meiner Vorgesetzten erinnern, aber ich weiß noch, wie ich es übersetzt habe: Legt los, ihr seid Didaktiker und Organisationstalente, habt technischen Sachverstand und kennt die wohnungswirtschaftlichen Kernfelder. Mehr braucht es nicht! Und: Es muss auf jeden Fall schnell gehen, ihr habt freie Hand“. Heute sage ich aus vollster Überzeugung: Das war der einzig richtige Weg. Meine größten Bedenken galten der Teamfindung des nun neuen Web-Teams. In dieser Konstellation hatten wir bisher noch nicht zusammengearbeitet. Und nun sollten wir uns online irgendwie finden und völlig hierarchielos etwas erarbeiten? Ohne Sie jetzt mit vielen Details zu langweilen: Nach einem anfänglichen Durcheinander und schmerzhafter Orientierungslosigkeit haben wir schnell herausgefunden, wer welche Stärken hat und wo ihre oder seine Kompetenzen am besten einzusetzen sind. Ein regelmäßiger und ausführlicher Austausch in unserem Online-Meeting-Raum trugen hier ebenso entscheidend dazu bei, wie die Status-Quo-Gespräche mit unserer Geschäftsführung und Bereichsleitung. Denn auch, wenn das uns entgegengebrachte Vertrauen uns den nötigen Spiel- und Entscheidungsraum gab, war es doch wichtig, unsere Führungskräfte als Beraterinnen an unserer Seite zu wissen. Im ersten Schritt gingen wir unseren gesamten Veranstaltungskatalog durch:

  • Was muss abgesagt werden?
  • Was ist von einer Absage bedroht?
  • Wie fangen wir die Lehrgänge auf?
  • Was ist mit den Prüfungen?
  • Was lässt sich überhaupt in Webinare übersetzen und wie?
  • Wo sind die Grenzen? Was macht didaktisch Sinn und was nicht?
  • Wie teuer ist so ein Webinar?
  • Wie bringen wir den Dozenten bei, dass sie sich jetzt vor eine Kamera setzen müssen?
  • Wie kann so eine Dozentenschulung aussehen?
  • Was müssen wir beim Datenschutz beachten?
  • Was werden die Teilnehmer*innen sagen?

Kurz: Wie können wir weiterhin Bildung gewährleisten und nachhaltig jeden Menschen in der Immobilienwirtschaft zum Erfolg verhelfen? Glücklicherweise hatten wir vor einiger Zeit eine Software für Webinare angeschafft. Wir wollten uns auf die vermutlich steigende Nachfrage in diesem Bereich vorbereiten. Aus dem „vermutlich“ wurde nun ein „tatsächlich“ – und zwar innerhalb in kürzester Zeit. Die Online-Software GoToWebinar sollte für die kommenden Wochen die ständige Vertretung unserer Seminarräume sein.

Wenn die Technik erst einmal steht…
… dann läuft eben nicht alles wie von selbst. Ich bin – im positiven Sinne – fassungslos, wie eng alle zusammengerückt sind. Und das in einer Zeit, wo man doch meinen könnte: Jetzt ist sich jeder selbst der Nächste. Denn das, was das Projekt WIRKLICH ins Laufen gebracht hat, waren das Entgegenkommen, die Solidarität, der Mut, Fehler zu machen, der Tatendrang, das gegenseitige nahezu blinde Vertrauen und eine große Prise Humor aller Beteiligten. Ich bin sicher, ich spreche für unser gesamtes Team: Wir sind dankbar für die Unterstützung und Solidarität, die wir erfahren haben und ohne die wir niemals auch nur ein einziges Webinar an den Start gebracht hätten!

Innerhalb kürzester Zeit konnten wir so nicht nur unsere Lehrgänge auffangen, wir haben sogar einen stolzen Webinarkatalog ins Leben gerufen. Auch interaktivere Formate, in denen es um die Vermittlung von dem geht, was wir als Soft-Skills bezeichnen, konnten wir mit einer großen Portion Kreativität ins Digitale übertragen. Wenngleich wir hier die ersten Grenzen der Digitalisierung erfahren mussten. Versuchen Sie einmal, in einem 6-köpfigen Online-Meeting gezielt eine Person mit Blickkontakt zum Reden aufzufordern. Da können Sie so lange in die Kamera starren, wie Sie möchten. Eine verrückte Welt, diese Online-Welt. Wir werden uns Gedanken machen müssen, wie wir uns künftig in dieser Welt verhalten möchten und wie wir unseren Gesprächspartnern unser Anliegen vermitteln.

Die Grenzen der Digitalisierung? Überschreiten wir sie doch einfach
Es gibt Dinge, die kann man nicht einfach ersetzen. Mensch, was fehlen Sie uns! Sie fehlen uns wirklich. Wenn man sie nicht mehr hat, die Gespräche, die gemeinsamen Stunden, dann fällt einem auf, was in dieser geteilten Zeit eigentlich so passiert. Es fällt einem auf, wie erklärbar die Welt ist, wenn man sich zusammenfindet. Ich weiß nicht, wie es Ihnen erging, bei mir kam irgendwann der Zeitpunkt, an dem ich gemerkt habe, dass ich überhaupt nicht mehr weiß, was eigentlich los ist „da draußen“. Also habe ich angefangen, zu telefonieren: „Hallo? Sind Sie noch da? Was machen Sie gerade? Wie geht’s den Kindern? Ach, Sie haben auch Internetprobleme?“ Und wissen Sie was? Jedem meiner Gesprächspartner ging es zumindest ein bisschen so wie mir. Konfrontiert mit einer Situation, für die niemand je einen Fahrplan gemacht hat, sah man sich gezwungen zu improvisieren. „Sagen Sie, wissen Sie, wie die anderen das so machen? Ich habe ja letztens gehört… Funktioniert das? Haben Sie schon einmal gehört, dass jemand das auch so löst wie wir?“ An all diejenigen, denen ich noch eine Antwort schuldig bin: Mir fällt bis heute niemand ein, wo ich sagen würde: „Die regeln das genauso wie Sie!“ Tja, was machen wir da? Das, was immer hilft: Wir unterhalten uns.

Geht alles: Genossenschaftlicher Austausch in der digitalen BBA
Sie wissen: Wir sind Bildungsdienstleister und Bildung ist unser Geschäftsmodell. Dieses hätten wir in den letzten Wochen nicht aufrechterhalten können, ohne dass Sie mitspielen. Zeit also, etwas zurückzugeben.

Am 11. Juni 2020 fand unsere kostenfreie „Digitale Netzwerkrunde für Vorstände von Wohnungsbaugenossenschaften“ statt. Wir waren zu zwölft, eine hervorragende Größe für so eine Runde. Zur Vorbereitung haben wir im Vorfeld die Teilnehmer*innen angerufen: „Worüber würden Sie gerne sprechen?“, „Was passiert derzeit in Ihrer Genossenschaft?“. Die geführten Telefonate bekräftigten unsere Annahme: Uns fehlt der Erfahrungsaustausch. Es fehlt uns, darüber zu reden, was gerade passiert. Es fehlt uns, uns mitteilen zu können. Und zwar nicht via Email. Es fehlt das persönliche Gespräch. Als es nun so weit war und sich die ersten Gäste in unserem digitalen Meetingraum einloggten, wurde ich dann doch etwas nervös. Zwar hatte ich eine kleine Agenda, diese war aber ebenso bunt, wie die Wohnungswirtschaft vielfältig ist. Man wollte einfach über alles reden. Dies spiegelte sich auch in der Vorstellungsrunde: "Ich bin heute hier, weil..." und "...das war ein gutes Gespräch für mich, wenn…" war das, was vorgegeben wurde. Nun, dabei blieb es nicht. Es wurde über so ziemlich alles gesprochen, was einen derzeit beschäftigt und wie man mit dieser und jener Situation umgeht. Nachdem die letzte Teilnehmerin zu Wort kam, war das erste Resümee: Alles ist super. Wir machen das prima. Probleme gibt es eigentlich nicht. Ok. Dann hätten wir das geklärt. Wirklich? Viele von uns werden sich an folgende Situation aus längst vergangenen Zeiten erinnern: Irgendwann im Alter von etwa 14 Jahren beschließt man in einer sommerlichen Nacht gemeinsam mit seinen Freunden an einen See zu fahren, um zu baden. Nackt natürlich. Wenn schon, denn schon. Voller Tatendrang hat man die Reise dann endlich hinter sich gebracht und starrt gemeinsam und schweigend auf das nun doch sehr bedrohlich wirkende Nass. Wer zieht sich zuerst aus? Auch bei uns gab es eine mutige Person, die zuerst die Hüllen fallen ließ: „Ich weiß überhaupt nicht, wie wir das genossenschaftliche Leben aufrechterhalten sollen. Das bricht gerade weg.“ Und damit hatte sie einen wunden Punkt getroffen.

Hätten Sie es gewusst?
Der Austausch wurde zunehmend offener, so dass alle mit einem großen Mehrwert und vor allem um ein paar Erfahrungsschätze reicher die Runde beenden konnten. Und das war schließlich Sinn und Zweck der Veranstaltung.

Insgesamt kam heraus, was sich im Vorfeld bereits abzeichnete: Jeder geht sehr unterschiedlich mit der aktuellen Situation um. So individuell die Lösungswege auch sind, so sind es doch am Ende die gleichen Herausforderungen, denen wir uns stellen. Wie das alles genau aussieht? Genauso vertraulich, wie die Inhalte unserer Seminare behandelt werden, so vertraulich gehen wir auch mit den Gesprächen in unseren digitalen Räumen um. Sonst kann es nicht funktionieren. Was ich Ihnen aber mitteilen darf, ist Folgendes: Auf dem Gebiet der mobilen Arbeit, dem Digitalisieren von Prozessen oder dem Umgang mit Versammlungen ist in kürzester Zeit bereits vieles erfolgreich auf den Weg gebracht worden. Bauchschmerzen hingegen bereitet der Wegfall des genossenschaftlichen Lebens. Ich finde es schön, welche kreativen Ansätze sich hier zeigen: Da wäre z.B. die Zusammenarbeit mit den Künstlern des Karnevals der Kulturen, die ihren Auftritt absagen mussten und nun zumindest mit einer kleinen Darbietung wieder Farbe in die genossenschaftliche Gemeinschaft bringen konnten. Oder die Kooperation mit dem Imbiss, dessen Existenz aufgrund der Coronakrise bedroht schien und der nun das Essen auf Rädern ersetzt. In einem anderen Fall handeln die Mitglieder auf künstlerische Art autark und versuchen mit kleinen Aktionen wieder etwas „Leben in die Bude“ zu bringen. Sehr bewegt hat mich der Umgang mit den Mitarbeiter*innen der Genossenschaften. Ich finde es großartig, wie verantwortungsvoll und innovativ man hier vorgeht! Wenn die große Sorge "nur" die Gesundheit ist und nicht etwa auch noch die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, wurde hier vieles richtiggemacht! Das ist keine Selbstverständlichkeit. Und auch hier: DEN Königsweg gibt es nicht. Durch ausprobieren, machen, tun, wagen und vertrauen sind die buntesten Lösungen entstanden und jede einzelne ist genau richtig. Die Erfahrungen, die wir sammeln konnten, lassen sich schwerlich in Webinare packen. Sie leben vom Austausch und davon, dass man sie nimmt, verändert, weiterentwickelt und wiederum über sie spricht. Ein wirklicher Ersatz für das „echte“ Leben können digitale Formate nicht sein. Denn bei aller Begeisterung: Es fehlt die Bewegung, das Händeschütteln, das sich in die Augen schauen und das Aufeinanderzugehen. Und wahrscheinlich noch viel mehr. Aber an diesem Punkt komme ich in Erklärungsnot.

Fazit
Unsere digitale Netzwerkrunde konnte sicherlich den fehlenden Erfahrungsaustausch auffangen. Sie stellt jedoch keinen Ersatz dar. Vielmehr sind solche Runden eine gute Ergänzung. So freuen wir uns auf die Zeit, in der wir Ihnen endlich unsere neuen Räume präsentieren dürfen und auf unsere Präsenzveranstaltungen, die uns so viel Raum geben für das, was man im Alltagstrubel gerne vergisst: Voneinander lernen, Neues entdecken, gemeinsam Pläne schmieden. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass wir diese Erfahrungen in die Zeit nach Corona tragen. Wie auch immer diese sein mag.

Vielleicht inspirieren Sie ja auch unsere Lessons learned

  • Mut beweisen, spontan Ideen umsetzen, einfach mal machen, zahlt sich aus.
  • Freiraum geben und Verantwortung abgeben (auch, wenn es schwerfällt) - beides hilft, individuelle Fähigkeiten auszubauen und vorher nicht gekannte zu entdecken.
  • Fehler sind super!
  • Querdenken, flexibel sein, anders sein. Und da, wo es Sinn macht: Never change a running system. Etwas Neues bedeutet nicht, die Welt auf den Kopf zu stellen. Es bedeutet: Wir waren schon gut, werden jetzt aber noch besser.
  • Digitale Technologien sind, richtig eingesetzt, ein wertvolles Instrument. Nicht nur, um Krisen aufzufangen. Sie sind wahre Geschenke an unsere Lebenszeit.
  • „Homeoffice“ führt NICHT dazu, dass wir weniger arbeiten.
  • Digitale Technologien können nicht alles ersetzen. Es gilt, ihre Grenzen zu erkennen und anzunehmen.
  • Digitale Technologien haben nichts, aber auch rein gar nichts mit dem Alter zu tun. Verabschieden Sie sich von diesem Gedanken.
  • Je digitaler wir agieren, desto mehr Wert bekommt das Analoge. Und damit sind keine Papierflyer gemeint. Sogenannte „menschliche Fähigkeiten“, wie Kreativität und Empathie oder das, was wir gerne als „Softskills“ bezeichnen, werden immer wichtiger.
  • Wäscheleinen haben in Videokonferenzen nichts zu suchen.
  • Und last, but not least: Digitalisierung will gestaltet werden. Tun wir ihr den Gefallen.