Kiezgeflüster – Silke Hillenbrand

Morgengruß vom Erbauer des Friedenauer Wahrzeichens

BBA - Akademie der Immobilienwirtschaft e. V., Berlin

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Aus der Richtung Breslauer Platz kommend grüßt kurz vor dem Roxy-Palast Hans Altmann mit einem „Guten Morgen!“: Den Kopf hebend erkennen wir über dem Eingang des Theater Morgenstern im ehemaligen Rathaus Friedenau seine Büste, wie er sich über seinen Zeichnungen beugt. Woran er wohl gerade arbeitet? Als Architekt und Friedenauer Gemeindebaurat (1906-1920) gestaltete er das Bild der ehemaligen Landhauskolonie Friedenau entscheidend mit. Er stellte die Weichen für den Bau von Schulen, Straßenbeleuchtung, Entwässerung, Wasserversorgung und allen weiteren Anforderungen an einen nunmehr städtischen Bezirk, der 1920 in Schöneberg aufging.

Zahlreich sind seine Bauten, die er gerne malerisch gruppierte und die sich zwischen Historismus, Jugendstil und Moderne bewegen. So tragen das Pfarr- und Gemeindehaus zum guten Hirten am Friedrich-Wilhelm-Platz, die Bedürfnisanstalt am Maybachplatz und der Wilmersdorfer Waldfriedhof Güterfelde seine Handschrift. Selbst an der Künstlerkolonie am Südwestkorso oder den Ceciliengärten war er beteiligt. Auch seine Schulbauten sprechen für seinen visionären, menschenfreundlichen und großzügigen Geist: Auf dem Dach des heutigen Rheingau-Gymnasiums errichtete er eine Plattform für astronomische Beobachtungen, die heutige Paul-Natorp Oberschule wurde als kommunikative Hallenschule umgesetzt, die damalige dritte Gemeindeschule wurde mit zwei Turnhallen, Aula, Festsaal für die Bürgerschaft, Turngerätehaus und Sportplatz erbaut. Ob er sich freut, dass mit der BBA das Thema Bildung auch im Roxy seinen Platz gefunden hat? Das Friedenauer Rathaus, dessen Seitenflügel sich unmittelbar an den Roxy-Palast anschließt, ist auch sein Werk. Von 1913 bis 1916 erbaut und 1917 offiziell eröffnet, verlor es durch die Eingemeindung Friedenaus in Schöneberg bereits 1920 wieder seine Funktion.

Rathaus und Roxy, nur 12 Jahre auseinander, sprechen dennoch eine ganz verschiedene architektonische Sprache. Auf der einen Seite grüßt noch die „Belle Epoque“ der Gründerjahre, erbaut mitten im ersten Weltkrieg und diesem gleichsam mit bürgerlichem Stolz und Gestaltungswillen trotzend. Auf der anderen Seite läutet der Roxy-Palast mit seiner neuen Sachlichkeit die Moderne mit ihren klaren Linien und funktionaler Schönheit ein. Beide Gebäude eint: Sie sind jeweils die letzten ihrer Art. Das Friedenauer Rathaus ist der letzte Rathausbau des Kaiserreiches in Berlin. Der Roxy-Palast das letzte in Berlin im Bauhausstil errichtete Gebäude.

Neun Jahre nachdem das Rathaus Friedenau seine Funktion und Hans Altmann seine Stelle als Gemeindebaurat verlor, hieß es in der Zeitschrift „Stein, Holz, Eisen“ von 1929 zur städtebaulichen Wirkung des Roxy-Palastes: „In dieser längst nicht mehr peripherischen Stadtgegend herrscht noch immer die Türmchenarchitektur der Gründerjahre mit der ganzen überladenen und verlogenen Ornamentik einer kunstfremden Epoche. Der Roxy-Palast bildet einen erfreulichen Einbruch neuzeitlichen Baugeistes in eine verkitschte Umgebung, …“.

Dass Altmann auch ganz anders konnte, zeigen die Askania Werke in Mariendorf, aus denen der klare, sachliche und funktionale Stil der Industriearchitektur der 20iger und 30iger Jahre spricht. Die oben genannte reiche Ornamentik des Friedenauer Rathauses sowie die An- und Aufbauten der Fassade gingen durch die Zerstörung des zweiten Weltkrieges verloren und wurden nach dem Krieg nicht wiederhergestellt.

Altmanns Aufzeichnung vom 9.11.1924 liest sich wie die Beschreibung eines „agilen Projektes“. Denn, nachdem der Beschluss gefasst worden war, das Rathaus nicht am heutigen Renée Sintenis Platz, sondern am heutigen Breslauer Platz zu bauen, wurden die Anforderungen und Bedarfe immer umfangreicher: „(nun waren) … nicht nur die Diensträume, sondern auch die Feuerwehr, mehrere Dienstwohnungen, ein Ratskeller und eine Wohnung für den Bürgermeister unterzubringen. Unmittelbar vor dem Baubeginn beschloss die Gemeindevertretung, in das Rathaus einen Bürgersaal mit Nebensälen und den dazu gehörigen anderen Räumen einzubauen. Bei der Größe des Bauprogramms [...] ergab sich, dass trotz Inanspruchnahme weitgehender Dispense für die Bauausführung das vorhandene Grundstück bei weitem nicht ausreichte, um den aufgestellten Anforderungen zu entsprechen. Es wurde deshalb zur Vergrößerung des Grundstückes ein Teil des Straßengeländes bis zu 12 Meter Tiefe durch Änderung der Baufluchtlinien zu dem Baugrundstück hinzugeschlagen [...] Trotzdem dadurch der bereits aufgestellte Bauentwurf eine ganz wesentliche Änderung erfuhr, musste ohne Zeitverlust mit dem Bau begonnen werden. Als derselbe aus dem Erdreich herauswuchs, brach der Krieg aus. Trotz anfänglicher Bedenken wurde der Bau mit aller Energie fortgeführt und so beschleunigt, dass bereits im Jahre 1915 fast die ganze Verwaltung in das Haus hinein verlegt werden konnte. Auch der Ratskeller konnte gleichzeitig seiner Bestimmung übergeben werden. Im nächsten Jahre folgte dann die Fertigstellung des Festsaales und seiner Nebenräume und im Jahre 1917 die Fertigstellung des Turmes. So kam Friedenau noch im letzten Augenblick zu seinem so langersehnten Rathaus.“

Hans Altmann verstarb 1965 mit 93 Jahren in Berlin und wurde in Waldfriedhof Dahlem beigesetzt. Sein Grab ist nicht erhalten.

Ob uns sein „ideenreicher und vielseitig künstlerischer Schöpfergeist“ wie es in Architektenkreisen über ihn hieß, auch heute noch inspiriert? Horchen Sie doch das nächste Mal, wenn Sie bei uns vorbeikommen…

Ihre
Silke Hillenbrand